Schluss mit diesem gefährlichen demokratiepolitischen Trauerspiel!

Meine Sonntags-Rede auf der Rheinbrücke in Waldshut (Foto: mit dem grünen Kundgebungs-Organisator Peter Schanz und Sandra Detzer, der Landesvorsitzenden der Grünen Baden-Württemberg).

Liebe Freundinnen und Freunde. Wir treffen uns heute auf einer Rheinbrücke. Diese Brücke verbindet Deutschland und die Schweiz. Sie verbindet Baden-Württemberg mit dem Kanton Aargau, sie verbindet uns als Nachbarn und sie verbindet unseren Widerstand. Den grenzüberschreitenden Widerstand der Menschen gegen ein zynisches Experiment mit ihrer Sicherheit.

Nie hätte ich geglaubt, dass wir heute wieder auf die Strasse gehen müssen. Nie hätte ich geglaubt, dass die Axpo das älteste AKW der Welt nach drei Jahren Pannen-Pause wieder in Betrieb genommen wird. Nie hätte ich geglaubt, dass das Eidgenössische Nuklearsicherheits-Inspektorat ENSI grünes Licht gibt für diesen verantwortungslosen Entscheid. Die Schweizer Atomaufsicht hat sich von der der Betreiberfirma Axpo richtiggehend weich klopfen lassen. 12 Mal hat sie nein gesagt. Nun ist sie umgefallen.

All dies geschieht gegen den Willen der Bevölkerung. Der Bevölkerung in Deutschland und der Bevölkerung in der Schweiz. Die Schweiz ist ja immer wieder stolz auf ihre demokratischen Traditionen. Doch was hier passiert ist ein demokratiepolitisches Trauerspiel. Die Anti-AKW-Bewegung kämpft seit über 40 Jahren gegen die gefährliche und unermesslich teure Atomenergie. Nach der schweren Atomkatastrophe von Fukushima haben auch die Regierungen in Deutschland und in der Schweiz endlich begriffen, dass man die Energiewende nicht mehr länger hinausschieben kann. Im Gegensatz zu Deutschland ist der Reformeifer in der Schweiz allerdings rasch erlahmt. Nur dank einer Volksinitiative der Grünen konnten wir 2017 das neue Energiegesetz überhaupt über die Ziellinie retten. Es ist alles andere als ehrgeizig oder innovativ. Aber immerhin verbietet es den Bau neuer AKW in der Schweiz.

Doch die Bevölkerung in der Schweiz ist viel weiter als die Politik. 46 Prozent der Stimmberechtigten haben vor zwei Jahren die Volksinitiative der Grünen unterstützt. Sie wollen, dass die drei ältesten AKWs der Schweiz, die Methusalems, noch in diesem Jahr, vom Netz gehen. 2018, also jetzt. Leider hat sich ein Teil der ebenfalls AKW-kritischen Bevölkerung von den Sirenenklängen der Energieministerin Doris Leuthard einlullen lassen und das Tempo verlangsamt. „Wir lassen die alten AKW nur so lange laufen, wie sie sicher sind“, hat Doris Leuthard versprochen. Doch heute wissen wir: Das war billige Propaganda. Wenn es um die Interessen der Schweizer Atomkonzerne geht, dann ist der Bundesrat sogar bereit, mit einer Verordnungsänderung die Sicherheitsstandards auf ein unterirdisches Niveau herunterzuschrauben. Damit will er der Axpo bei einer Klage gegen das AKW Beznau 1 schützend unter die Arme greifen. Dafür ändert er mitten im Spiel die Spielregeln – und spielt russisches Roulette. Der Bundesrats schützt das ENSI und die Axpo statt die Bevölkerung.

Der Bundesrat und die Betreiberfirma von Beznau 1, die Axpo, haben offenbar noch immer nicht begriffen, das Atomenergie wirtschaftlich nur tragbar ist, wenn man bei der Sicherheits spart und alle Folgekosten sozialisiert. Sie halten lieber an den AKW-Albträumen des letzten Jahrtausends fest, als endlich in die Zukunft aufzubrechen. Sie produzieren lieber neuen atomaren Abfall, als endlich zuzugeben, dass die Entsorgungs- und Endlagerkosten für hochradioaktive Abfälle in der Schweiz schon heute aus dem Ruder laufen. Sie haben die Zeichen an der Wand nicht erkannt und wollen die AKW weiterlaufen lassen, bis es zu spät ist. Aber nicht mit uns!

Zum Glück steht die Regierung von Baden-Württemberg auf unserer Seite. Sie hat mit glasklaren Argumenten aufgezeigt, dass das AKW Beznau ein gigantisches Risiko ist. «Beznau muss aus Sicherheitsgründen abgeschaltet werden», sagte Umweltminister Franz Untersteller. Und Ministerpräsident Winfried Kretschmann betont, dass man sich bei den Schweizer Behörden nachdrücklich für das Abschalten von Beznau 1 einsetzen werde. Danke, liebe Nachbarn aus Deutschland. Eure Unterstützung ist uns hochwillkommen! Sie stärkt den Institutionen und Organisationen in der Schweiz den Rücken, die sich ebenfalls gegen den verantwortungslosen Entscheid des Bundesrates, des ENSI und der Axpo zur Wehr setzen.

Und es sind viele. Zum Beispiel der langjährige Präsident der Eidgenössischen Kommission für Strahlenschutz, André Herrmann. Er wirft dem Bundesrat vor, die Grundsätze des Strahlenschutzes und des Vorsorgeprinzips zu missachten. Ein dicker Hund – und schon fast Landesverrat! Auch die Umweltverbände und die atomkritischen Parteien in der Schweiz haben geharnischt auf die Piroutten des Bundesrates reagiert. Selbst einige Kantone lehnen die Verordnungsänderung ab, ja sogar bürgerliche Politiker sind irritiert. Wir haben also eine Chance, den Weg in die Hochrisikozone noch zu stoppen. Wir versammeln uns heute auf der Brücke über den Rhein, um den grenzüberschreitenden Widerstand zu bündeln und die Regierung in Bern daran zu erinnern, dass man die Bevölkerung und die Nachbarn ernst nehmen muss. Ernster als die Axpo und den Atomfilz in der Schweiz.

Der Kampf gegen die Atomenergie ist noch lange nicht zu Ende. Unser Widerstand, unsere Stimme, unsere kritische Kraft wird noch lange gebraucht. Wir bleiben dran, bis das letzte AKW in der Schweiz, in Deutschland und überall sonst abgestellt ist. Die Energieversorgung kann heute umweltfreundlich und nachhaltig gewährleistet werden. Wir sind deshalb die progressive Stimme der nächsten Generationen. Und wir sagen: Byebye Beznau, byebye Gösgen, byebye Leibstatt, byebye AKW! Danke!