Rede für den abtretenden Berner Regierungsrat Bernhard Pulver

Lieber Bernhard

Das ist keine Abschiedsrede, sondern eine Dankesrede. Und eine vorläufige Zwischenbilanz. Eine Zwischenbilanz Deines leidenschaftlichen politischen Engagements, das vor über 30 Jahren mit der Verhinderung einer Autobahn durchs Simmental begonnen hat und nach vielen Etappen Ende Mai eine neue Richtung nehmen wird. Noch wissen wir nicht, wohin Dich Dein neuer Lebensabschnitt führt. Wir hätten zwar schon Ideen. Aber wir respektieren Deinen Wunsch, ab dem erstem Juni ein paar Monate frei zu sein. Frei von Terminen, frei von Erwartungen, frei vor Krisenmanagements, frei von Anzügen und Krawatten.

Die Freiheit als Ziel und als Lebensmotto, die ist Dir auf den Leib geschnitten. Als Du mit 18 Jahren die Grünen Schweiz mitbegründet hast, da war die neue Partei für Dich nicht nur die erste Adresse für die Umweltpolitik in diesem Land. Sondern auch die Partei, die den Menschen mit seiner Würde und seinen Freiheiten ins Zentrum stellt. Die Freiheit, ohne Korsett aus Zwängen und Vorurteilen leben zu können. Die Würde, Teil einer Gesellschaft zu sein, in der alle ihren Platz und ihre Rechte haben.

Und weil wir Grüne sagen was wir wollen und machen was wir sagen, hast Du genau das auch gelebt. Tag für Tag. Mit 22 Jahren, als Generalsekretär der Grünen Schweiz. Als Gründer und Präsident der „Gesellschaft für bedrohte Völker“. Als Absolvent der Robert Schumann-Universität in Strasbourg mit einem Nachdiplomstudium zum Thema „Schutz der Menschenrechte in Europa“. In deiner Arbeit als Stadtrat, Grossrat und Regierungsrat. Nie hast Du Dich selber als Person in den Vordergrund gestellt und die Ellbogen ausgefahren. Immer hast Du Dich für die anderen eingesetzt und für eine humanistische, offene Gesellschaft. Für gegenseitigen Respekt. Für Volksbildung als Voraussetzung für Volksbefreiung. Aber auch für die Verantwortung gegenüber den Schwachen, den Glücklosen, den Menschen, die nicht auf der Sonnenseite stehen. Und eben für die Freiheit, die immer auch die Freiheit der Andersdenkenden ist.

Ich könnte jetzt zwei Stunden lang Ämtli, Positionen und Projekte aufzählen von Dir. Doch das mache ich nicht. Das wirst Du in Deinen vielen Abschiedsfesten der nächsten Wochen ja noch mehr als genug hören. Freu Dich darauf!

Allerdings: Ämtli und Projekte sammeln, das können viele. Die Arbeit gut machen: Das ist bei Grünen eine Selbstverständlichkeit. Aber bei Dir, Bernhard, kommt noch viel mehr dazu. Du faszinierst die Menschen, wie wenige andere Politiker im Kanton Bern und in der Schweiz. Ich denke das kommt daher, dass Du vieles anders machst als es der Mainstream will. Und gerade deswegen hast Du so viele Erfolge. Du bist zum Beispiel nie laut und polemisch, sondern befolgst das Motto von Albert Einstein, alles so einfach wie möglich zu machen, aber nicht einfacher. Die Realität ist kompliziert, sagst Du. Und dass Deine Positionen mehr brauchen als fünf Zeilen – und am Schluss bei den Wähler/innen trotzdem ankommen. Weil die Menschen genug haben vom Pingpong zwischen den Polen.

Du magst auch keine vorgekochten Wahrheiten. Sondern Du sagst Sätze, bei denen jedem Kommunikationsberater die Haare zu Berge stehen. Sätze wie: Ich höre den anderen zuerst mal zu. Ich kann von ihnen etwas lernen. Vielleicht haben sie ja bessere Argumente als ich – und nur gemeinsam finden wir einen Weg.

Du bist auch immer liebenswürdig. Du brauchst nicht auf den Tisch zu hauen, um Dich durchzusetzen, sondern Du kannst die anderen mit Fakten, mit Charme, mit Brillanz überzeugen. Ich gebe zu, das ich mich gerne auf dich berufe, wenn mir die nationalen Medien mal wieder sagen, ich sei zu nett. Dann verweise ich auf Dich und sage, dass man Stärke nie mit Lautstärke verwechseln soll.

Wir Berner/innen sind ja gemeinhin nüchterne Menschen. Doch wenn ich die Artikel und Kommentare über Dich lese, dann stelle ich fest, dass Du auch die Berner Journalistinnen und Journalisten zu Höhenflügen inspirierst. „Bernhard Pulver versprüht unbernischen Optimismus“, schreiben sie zum Beispiel. Ein „Vorzeigegrüner“. „Der Mann für schwierige Dossiers“. Smart, erfolgreich, souverän – und ja: auch ein bisschen müde. Das darf man nach 12 Jahren im Regierungsrat auch sein. Nur wer selber einmal in einem Vollblutpolitiker/innen-Job war, kann sich vorstellen was es heisst, rund um die Uhr unter Beobachtung zu stehen. Rund um die Uhr eingespannt zu sein. Rund um die Uhr verantwortlich zu sein. Bernhard hat ja nicht nur für die Erziehungsdirektion Verantwortung übernommen, die rund einen Drittel des Kantonsbudgets belegt. Nein, Bernhard hat als starker Mann in der Berner Regierung immer auch für das Ganze gedacht, in anderen Direktionen mitgeholfen und noch in seinem letzten Jahr als Regierungspräsident einen Strategieprozess gestartet, der dem Kanton Bern ein neues Selbstbewusstsein, eine neue Dynamik geben soll. Bernhard ist kein Kopfnicker-, sondern ein Mitmachregierungsrat. Immer offene Türen, immer ein neugieriger Blick.

Was mich auch beeindruckt: In deinen 12 Jahren als Regierungsrat bist Du Bernhard geblieben und nicht zum Amtsträger mutiert. Erst recht nicht zum Machtfaktor. Mit Deiner wunderbaren Art, Politik zu machen, hast Du Dir so viel Respekt verschafft. Die Lehrerinnen und Lehrer, die Hochschuldozent/innen und -Rektoren, die Kulturschaffenden, die Berufsberater/innen, deine Angestellten, die Kaderleute lassen Dich nicht gerne ziehen. Auch wir Grünen lassen Dich nicht gerne ziehen. Aber wir lassen Dich ziehen und sind dankbar für alles, was Du geleistet hast. Für die Menschen im Kanton Bern und auch für uns als Grüne.

In der letzten “Schulpraxis” hast Du über den Gipfel deiner Karriere geredet und den Vater von Dieter Meier, den Sänger von Yello, zitiert: „Wenn du auf dem Gipfel bist, musst du sofort wieder absteigen. Tust du es nicht, erfrierst du oder verblödest du.“ Man kann nicht immer sofort zum nächsten Gipfel aufsteigen, hast Du ausgeführt, sondern man muss hinuntersteigen und etwas Neues erfinden. „Was das Neue für mich ist, kann ich nicht sagen. Ich würde aber meine gesammelten Erfahrungen gerne nutzbringend einsetzen.“ Lieber Bernhard: Wir zweifeln keine Sekunde daran, dass Du Deine gesammelten Erfahrungen weiterhin nutzbringend einsetzen kannst. Und wir hoffen, dass Du uns als Mensch und als Grüner noch lange begleiten, inspirieren, beflügeln wirst und mit uns kleinere und grössere Berge versetzt.

In Abwandlung eines wunderbaren Gedichtes von Jorge Luis Borges möchte ich Dir zum Schluss meiner kleinen Rede für die nächste Lebensetappe folgendes wünschen: Versuche, etwas mehr Fehler zu machen, nicht immer perfekt zu sein, dich oft zu entspannen. Versuche, ein bisschen verrückter zu sein, viel weniger Dinge so ernst nehmen, nicht so gesund zu leben (oder gesünder, je nach dem), mehr zu reisen, Sonnenuntergänge zu betrachten, mehr bergzusteigen, mehr in Flüssen zu schwimmen. Danke für alles – und au revoir!

Delegiertenversammlung der Grünen Kanton Bern, 8. Mai 2018, Regula Rytz, Nationalrätin und Präsidentin der Grünen Schweiz

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