Weiter wie bisher ist keine Option!

Am Montag, 3. Dezember, startet die internationale Klimakonferenz in Katowice (Polen). Gleichzeitig beugt sich der Nationalrat in Bern über das CO2-Gesetz. Die Klimaszenarien zeigen: Es ist Zeit, die Komfortzone zu verlassen. Doch anstatt die Anstrengungen zu verdoppeln, tritt die Politik mehrheitlich auf die Bremse.

Der Fluss in meiner Stadt ist zu einem traurigen Rinnsal geschrumpft. Noch im Sommer lockte er Tausende von Badegästen an. Im warmen Gletscherwasser liessen wir uns um die Berner Altstadt treiben. Jetzt ist das Wasser weg. Doch es ist längst nicht das Einzige, was mir Sorgen bereitet. Tigermücken, Notschlachtungen, Fischsterben, ausgetrocknete Wälder: Dieser Sommer hat uns einen Blick in die Zukunft geöffnet. Es ist eine Zukunft, welche die Klimaforscher*innen immer besser vorhersagen können. Die Klimaszenarien, die letzte Woche veröffentlicht wurden, sind an Klarheit nicht zu überbieten. Schaffen wir es nicht, die menschengemachte Klimaerhitzung auf 1,5 Grad gegenüber der vorindustriellen Zeit zu begrenzen, dann werden sich die Naturkreisläufe unumkehrbar verändern. Unsere Lebensräume, Nahrung, Wasser – alles wird knapp.

Was mir Sorgen macht, ist die Geschwindigkeit, in der das alles passiert. Wir haben noch etwa 15 Jahre Zeit, um den grundlegenden Wandel einzuleiten. Ab 2050, spätestens 2055, darf weltweit kein CO2 mehr in die Atmosphäre gelangen. Das heisst im Klartext: Die Menschheit muss Öl, Gas und Kohle vollständig einsparen oder ersetzen. Und sie muss die Voraussetzungen schaffen, um Treibhausgase zum Beispiel aus der Landwirtschaft zu speichern. In Wäldern oder in humusreichen Böden. All das ist technisch möglich. Es ist eine kostspielige Herkulesaufgabe. Doch viel teurer wäre es, die Hände in den Schoss zu legen. Eine Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung beziffert die Folgekosten des Klimawandels auf 800 Milliarden Euro in den nächsten 50 Jahren. Auf die Schweiz umgerechnet wären das rund 2 Milliarden Franken – jedes Jahr. Dazu kommen die Kosten für Anpassungsmassnahmen in den armen Ländern des Südens von noch einmal einer Milliarde Franken.

Die Schweiz ist stärker von der Klimakrise betroffen als bisher angenommen. Tun wir nicht genug, dann steigen die Sommertemperaturen 2050 um bis zu 4,5 Grad an. Mein Göttibub ist dann 40 Jahre alt. Seine Generation wird die Probleme ausbaden müssen, die die Erwachsenen von heute vor sich herschieben. Viele wollen nichts an ihrem Leben ändern und schränken so die Wahlmöglichkeiten unserer Kinder ein. Auch die Politik versagt. Anstatt die Anstrengungen zu verdoppeln, tritt die Mehrheit auf die Bremse. Das neue CO2-Gesetz ist klar ungenügend. Es kann die Ziele des Klimaabkommens von Paris nicht erfüllen. Bis 2030 müsste die Schweiz 60 Prozent der Treibhausgase im Inland reduzieren – mit dem neuen Gesetz schafft sie knapp die Hälfte. Doch es kommt noch schlimmer: Die Umweltkommission des Nationalrates weigert sich, eine Flugticketabgabe einzuführen. Sie will es den Banken und Pensionskassen weiterhin ermöglichen, in hoch riskante fossile Energieanlagen zu investieren. Eine Lenkungsabgabe auf Treibstoffen verwirft sie genauso wie fortschrittliche Gebäudestandards. Das akzeptieren wir Grünen nicht. Wir engagieren uns mit Herzblut für ein besseres CO2-Gesetz und haben kein Problem damit, der Erdöllobby dabei kräftig auf den Schlips zu treten.

Nun sagen viele: Was soll sich die kleine Schweiz anstrengen, wenn Grossmächte wie China oder die USA viel mehr Verantwortung tragen? Ich sehe das anders. Gerade weil die Schweiz vom Klimawandel so stark betroffen ist, muss sie die grossen Länder vom Handeln überzeugen. Das geht nur, wenn sie mit gutem Beispiel vorangeht. Wir sind ein reiches Land mit besten Voraussetzungen für Innovation. Es ist an uns, die Komfortzone zu verlassen. In keinem Land werden pro Kopf mehr schwere Geländewagen gekauft und mehr Flüge gebucht. Doch immer mehr Menschen zeigen, dass es auch anders geht. Auf sie kommt es an. Sie wollen wir unterstützen. Weiter wie bisher ist keine Option.

 

Hier zum Nachlesen liken und teilen auf Facebook

Dieser Beitrag von Regula Rytz ist am 22. November 2018 in den Schaffhauser Nachrichten als Forumsartikel erschienen.