Mein grünes Tagebuch

Die Klimakrise ist im Alltag angekommen. Der diesjährige Juli war der heisseste Monat seit Messbeginn. Wir kennen die Folgen: Gluthitze in den europäischen Städten. Tödliche Waldbrände in Sibirien. Rekordeisschmelze in der Arktis. Unwetter in den Alpen, verbogene Bahngleise, ein bröckelndes Matterhorn: Nichts ist mehr, wie es war.

All das hat die Wissenschaft vor dreissig Jahren vorausgesagt. Doch die meisten Regierungen hörten weg. Die jüngste Studie des Oeschger-Zentrums für Klimaforschung nimmt nun den letzten Klimaskeptikern den Wind aus den Segeln. Die Forschung belegt, dass die heutige Klimaerhitzung – anders als vorindustrielle Temperaturschwankungen – auf der ganzen Welt gleichzeitig und in enormem Tempo erfolgt. Grund ist der menschengemachte Treibhauseffekt. Selbst für den Bauernverband ist klar: Ohne Klimaschutz wird sich die Schweiz um über sechs Grad erwärmen.

Das kann niemand wollen, auch die Herausgeber der Weltwoche nicht. Wir müssen weg von Öl, Gas, Kohle (und AKW). Aber wie? Die Rezepte liegen auf dem Tisch. Doch bei der Umsetzung herrscht das Sankt-Florian-Prinzip. Warum soll ich auf einen Flug verzichten, wenn mein Nachbar Auto fährt? Warum soll die kleine Schweiz vorangehen, wenn das grosse China weiterwurstelt? Warum Gesetze ändern, wenn jeder selber schauen soll? Durch all diese Ausreden verlieren wir Zeit. Die Schweiz war einst stolz auf ihre progressive Anpackmentalität. Der längste Bahntunnel der Welt, das erste Fabrikgesetz der Welt, die Einführung des Katalysators: Wo ein Problem war, wurde es demokratisch gelöst. Auch heute können wir den Raubbau an der Natur nur gemeinsam stoppen. Die Politik, die Wirtschaft, jeder und jede Einzelne von uns.

«Leben Sie auch, was Sie fordern?», werde ich immer wieder gefragt. Ich versuche es. Aber ich bin wie alle Menschen nicht perfekt. Dies zeigt ein Blick in eine Wahlkampagnenwoche.

Ein Beitrag von Regula Rytz in der Weltwoche